Sonntag, 10. Februar 2013

Kumba Mela


Um 8 Uhr fuhren wir mit dem Kiran Bus in die Stadt. In der Bäckerei gönnten Alessandra, Luca und ich uns einen Chai. Mit einer Motoriksha machten wir uns dann auf zum Busbahnhof. Dort angekommen hörten wir schon ein Mann der auf dem Trittbrett des Busses stand und mit voller Kraft „Allahabad“ rief. Wir liefen zu dem Bus, fragten nach dem Preis und stiegen ein. Nach und nach füllte sich der Bus bis kein Platz mehr frei war. Der ganze Bus fing an zu vibrieren und wir rollten gemächlich in das Getümmel hinein. Nach zwanzig Minuten erreichten wir die Autostrasse und waren froh, dass diese weniger Schlaglöcher hatte. Der Bus füllte sich nach und nach bis auch der Gang vollgestopft war. Keiner konnte sich mehr rühren.
Alessandra und Luca sind eine Woche später als ich im Kirancenter angekommen. Sie kommen aus Italien und sind durch Dr. Moreno, der hier arbeitet, auf das Kiran aufmerksam gemacht worden. Ihr Ziel ist es in dem Monat in dem sie hier sind, einen Film über das Kiran zu drehen. Beide haben eine Ausbildung zum Videoreporter gemacht. Unterdessen haben sie in Italien ihr eigenes Label und arbeiten selbstständig. Unter anderem machen sie Musikvideos für Bands, Werbefilme uns so weiter.
Nach zwei Stunden sitzen, hatte ich das Bedürfnis mich zu bewegen. Leider war überhaupt kein Platz dafür vorhanden, so blieb ich auf meinen wenigen Quadratzentimeter sitzen und wartete sehnlichst auf die Ankunft in Allahabad. Da wir auf der Strecke die insgesamt drei Stunden dauerte nur sehr kurze Stopps machten um Leute abspringen zu lassen oder andere aufzunehmen, hat sich nie die Gelegenheit geboten sich zu erleichtern. So fühlte ich mich mit der vollen Blase und dem wenigen Raum langsam richtig unwohl. Jedes Loch in der Strasse und das vibrieren des Busses wirkte sich auf meine Blase aus. Nach einer Stunde der Qualen fuhren wir endlich über die grosse Brücke von der man über das ganze Areal der Kumba Mela sah. Tausende von Zelten reihten sich aneinander, soweit das Auge reichte nur Menschen und Zelte. Am Ende der Brücke drängelten wir uns durch die Menschenmasse im Gang und riefen dem Busfahrer zu, dass er anhalten soll. Wir stiegen aus, ich sprintete auf die andere Strassenseite und erleichtere mich. Vom Ende der Brücke liefen wir dann los Richtung Aschram in dem uns Dr.Moreno einen Platz reserviert hat.
Das Ashram das aus mehreren kleinen und grossen  Zelten bestand wurde von dem Autor des Buches „ Autobiografie eines Yogis“ gegründet. Wir wurden sehr herzlich empfangen und bekamen einen Badge  um uns auszuweisen. Für die zwei Nächte und drei Tage bezahlten wir je 400 Rupien, umgerechnet ca. 8 Sfr. Luca und ich schliefen in einem grossen Zelt für die Männer. Zu beiden Seiten wurden am Boden dünne Schaumstoffmatten auf den Stroh gelegt auf denen wir schliefen. In unserem Zelt hatte es Platz für 50 Leute.
Die meiste Zeit haben wir das Areal de Kumba Mela zu Fuss erkundet. Wir liefen viel und sahen dabei sehr interessante und spannende Aktionen. Wie zum Beispiel am Samstagmorgen, als gegen hundert Sadus auf und los gesprungen kamen. Wir gingen ihnen aus dem Weg und beobachteten was sie, wie ein Magnet, anzieht. Um zu sehen was vor sich geht folgten wir ihnen in ein Aschram, dort sassen schon mehrere Männer in einer Reihe am Boden und warteten mit ihren Schalen auf das Essen. Schlussendlich sassen mehrere hundert Sadus am Boden und kosteten das gratis Essen des Aschrams. Die Gesichter waren faszinierend, geprägt durch Verzicht und mit eiserner Willenskraft  sahen mich ihre Augen an, ihre raue Haut und ihre Falten zeugten von Erfahrung, Erlebnissen, Weisheit und Geschichten. Am Schluss bekam jeder von ihnen  zehn Rupien als Unterstützung, da sie sonst kein Einkommen haben. Die Sadus widmen ihr ganzes Leben dem Beten und Meditieren, einige von ihnen sieht man nur alle zwölf Jahre wenn die Kumba Mela stattfindet. Ansonsten leben sie in den Bergen, Wälder, abgeschottet, alleine oder ziehen umher. Einige von ihnen aber sind auch Bettler, haben Natels, Laptops und fühlen sich auch dem Materialismus hingezogen.
Am Sonntag bevor wir wieder nach „Hause“ fuhren, nahmen wir das heilige Bad im Ganges. Das Wasser war kalt und dunkelbraun. Tausende von Menschen tummelten sich um uns herum. Sie badeten, tranken das Wasser oder füllten es in Flaschen ab. Von jung bis alt liessen alle, versammelt an dem Ufer des Flusses, das mit feinstem Sand leicht abschüssig zum Wasser führte,  ihre Sünden vom Ganges davon schwemmen. Ich hatte Erbarmen mit dem Fluss und fragte mich inwiefern die Wasserfarbe mit den millionen Sünden im Zusammenhang steht. Ich fand keinen Zugang zu der Spiritualität des Ortes und des Flusses. Für mich war das baden trotzdem eine gute Erfahrung und vor allem sehr erfrischend. Ich machte mir viele Gedanken über die Menschen vor Ort, wie sie glauben und denken, wie sie tausende Kilometer zurücklegen um in einem dreckigen Wasser zu baden. Ich bewunderte sie für ihre Einfachheit, für ihre Überzeugung die sie an den Tag legten, für ihr Hoffen auf eine bessere Zukunft, für ihr Glaube daran, dass der Ganges ihnen ihre ersehnte Reinheit gibt und die Sünden wegspült, für ihre Zusammengehörigkeit die sie im Glauben finden und für ihre Suche nach der Erlösung. Genau gleich machte mir das alles aber auch Angst, ich fragte mich wie viel die Menschen noch selber denken. Wie einfach es sein könnte die tausenden Leute gegen etwas aufzuhetzen. Wie sie durch ihre starke Überzeugung ausgenutzt werden könnten. Wie viel Leid sie auf sich nehmen würden und es als Schicksal annehmen.
Nach dem Baden bestiegen wir ein kleines, hölzernes Ruderboot. Eine halbe Stunde lang wurden wir und fünf indische Touristen von einem jungen, hageren Mann, dem der Schweiss auf der Stirn herunterlief, auf dem Ganges herum gepaddelt.
Wir standen ein letztes Mal in die Warteschlage um das Essen im Aschram zu kosten. Es wurde hervorragend gekocht, so freute ich mich immer auf die Mahlzeiten. Ich genoss jeden Bissen und liess mir drei weitere Male, Reis, Dal, Saaptchi und Roti nachfüllen.
Um zwei Uhr erreichten wir die Bücke auf der der Bus nach Varanasi durchfährt. Wir überquerten die dicht befahrene Strasse um auf die richtige Seite zu gelangen. Drüben angekommen sah ich von weitem einen silbernen, alten Bus oder Lastwagen.  Alessandra und Luca waren schon zehn Meter weiter gelaufen um die Bushaltestelle zu erreichen. Ich sagte mir, wir haben nichts zu verlieren und lief auf die Strasse hinaus. Ich gab dem Bus mit ausgestrecktem Arm und flachen Händen zu verstehen, er solle anhalten. Tatsächlich erwiderte er mein Zeichen um begann wie wild zu Hupen, als er nähren kam sah ich, dass es tatsächlich ein Personenbus war. Der Mann der im Trittbrett mitfuhr und sozusagen das Schild für den Zielort ersetzt rief mir Varanasi entgegen. Alessandra und Luca kamen wieder zurück und wir sprangen in den Bus auf ab nach Hause. Wir waren glücklich und zufrieden darüber, so schnell einen Bus gefunden zu haben  und noch mehr, dass es noch drei freie Sitzplätze hatte. Fünf Minuten und drei Stopps später war auch der Gang im Bus mit stehenden Passagieren gefüllt.

30.1



Der Tag begann mit einem Peanutbutter Brot und einem Tee. Danach verliess ich mein Zimmer und machte mich auf zu der Kantine. Nach hundert Meter war ich dort und traf die anderen Kiran Mitarbeiter. Mit einem „Namaste“ lief ich an ihnen vorbei in die Kantine. Dort nahm ich eine kleine Tasse und stellte sie unter den Behälter der mit Chai gefüllt ist. Durch das ziehen des Hebels plätscherte die hellbraune, heisse Flüssigkeit langsam in die Tasse. Mit dem warmen Getränk in der Hand gesellte ich mich draussen zu den anderen. Die ersten Sonnestrahlen wärmten unser Gesicht und wir genossen zusammen den Frühstückstee. Dieser Chai ist einer der besten den ich je gekostet hatte. Er ist weder zu süss noch zu wässrig, er ist einfach perfekt.
Nach den zehn Minuten Rapport in der Orthopädie-Werkstatt machten wir uns an die Arbeit. Der Morgen verlief ruhig. Um elf Uhr kamen zwei Touristen, ein Schweizer und eine Deutsche die das Kiran Center besichtigten, in die Werkstatt. Ich machte mit ihnen einen Rundgang und erklärte ihnen unsere Arbeit. Sie waren sichtlich erstaunt über die hilfreiche Arbeit die wir leisten. 

26.1



Heute war der Republiktag in Indien. Das ganze Kirancenter wurde mit indischen Farben geschmückt. Es kam richtige Feierstimmung auf. Am Morgen versammelten sich alle auf dem grossen Platz. Die Kinder standen in Reih und Glied und führten irgendwelche militärisch ähnlichen Bewegungsabläufe vor. Danach wurde die Indische Nationalhymne gesungen und dazu die Fahne gehievt aus der plötzliche hunderte von Blumen herausfielen. Um zehn Uhr ging es in der grossen Halle weiter. Es waren so viele Leute anwesend, dass sogar ausserhalb der Halle Stühle aufgestellt wurden. Nachdem mehrere Personen kurze Ansprachen hielten führten die Kinder ein Theater auf. Am Mittag war die Vorstellung zu Ende. Heute wurde mir wieder ins Bewusstsein gerufen wie unterschiedlich die Kulturen sind. Hier im Kiran lieben die Leute solche Feste, sie sind so engagiert, jeder will etwas beitragen. Bei den jungen habe ich noch nie jemand erlebt der nicht mitmacht, der keine Lust hat oder der Flausen im Kopf hat. Die Begeisterung ist ansteckend und so habe ich mich dazu entschlossen morgen am Geburtstag von Frau Sangeta bei einer Gruppe mit zu wirken. Unsere Gruppe führt einen Tanz auf, und singt dazu Playback. Der Song ist in verschiedene Teile gegliedert. Jeder Teil entspricht einer anderen Region in Indien, und dementsprechend verkleidet sich jede Gruppe. Ich gehöre zu den Punjabis und werde morgen mit einem Turban auf dem Kopf  vor mindestens 300 Indern die Bühne unsicher machen.









Nach dem Mittagessen spielten wir mit den Kindern die im Kiran leben. Es wurde Krikett, Basketball und Fussball gespielt. Auch ein riesen grosses Trampolin steht den Kinder zu Verfügung. Mir wurde es nach einer halben Stunde zu viel und musste ausruhen. Ich begab mich zu einer Gruppe die das Essen für Morgen zubereitet. Von jung bis alt es waren ca. 30 Leute sassen alle am Boden und schälten zusammen Knoblauch. Dazu hörten wir indische Musik und sangen manchmal selber irgendwelche Lieder. Nach zwei Stunden war auch der letzte Knoblauch geschält und ich erhob mich aus meinem Schneidersitz. Ich fühlte mich die ersten zehn Minuten wir ein alter Mann konnte aber danach wieder einigermassen aufrecht gehen.  Als ich mich in Richtung meines Zimmers aufmachte hörte ich die  anderen Kinder  noch immer mit vollem Elan auf dem Trampolin. 

19. Samstag





Diesen Samstag haben wir gearbeitet. Jeweils an zwei Samstagen im Monat wird gearbeitet. Mit dem Kiranbus fuhr ich danach in die Stadt um im Mishra Guesthouse meine Kleider zurück zu erlangen. Ich hatte sie das Wochenende zuvor nach dem waschen auf dem Dach aufgehängt und im abschiedsstress vergessen. Als ich im Hotel ankam wurden mir alle meine Kleider in einem Plastiksack zurückgegeben. Sie waren hoch erfreut über meinen Besuch und boten mir ein Zimmer nun zum halben Preis an. Am Abend besichtigte ich erneut die Burning Ghat und schaute dem treiben zu. Ein Mann erzählte mir viel Wissenswertes über den Vorgang des Kremierens.
Am späteren Abend traf ich erneut den Spanier vom letzten Wochenende auf der Dachterasse des Mishra Guesthouses.

Am Sonntag schlief ich aus. Zum Frühstück gönnte ich mir einen Pancacke mit Bananen und Honig, dazu einen Schwarztee. Die Sonne schien schon am Morgen mit voller Kraft und der Himmel war blau. Ich genoss die Atmosphäre und schaute den Menschen an den Ghats zu. Später traf ich auf Efi der aus Israel kommt. Wir machten den üblichen Smalltalk bis ich kurz vor Mittag auschecken musste. Später in der Nähe der Ghats traf ich wieder auf Efi. Wir suchten zusammen einen Chai stand, tranken, rauchten und plauderten. Er war symphytisch und es war spannend zu hören wie das Leben in Israel ist. Nach einer Weile machten wir uns auf eine Bootstour. Das Wasser war sehr ruhig, obwohl es auf dem Fluss beachtlich windete.

Vom Assighat bis nach Lanka setzte ich mich auf die erhöhte Bank einer Veloriksha. Oft fühle ich mich aber unwohl dabei, wenn ich von oben herab  den Männer, die meist spindel dürr sind und sich einen abrackern, zusehe. Der Sitz ist so hoch, dass man sich wie ein König fühlt. Einige mögen das vielleicht bei mir löst es jedoch oft ein unbehagliches Gefühl aus. Mann ist vor keinem Blick sicher, so prominent ist die Sitzlage. Da hat man in einem Tuktuk schon viel mehr Privatsphäre.  Einige Male dachte ich sogar daran die Fahrt abzubrechen und ihm den vereinbarten Betrag trotzdem  zu bezahlen. Vor allem dann wenn es Bergauf geht und der Fahrer sich mit seinen 50 kg voll auf die eine Pedale wuchtet kann, ich kaum noch ruhig sitzen bleiben.  Die Männer leben von dem Business, es würde ihnen nichts bringen wenn man sie meiden würde. So nehme ich ab und zu, wenn nicht gerade ein Tuktuk in der Nähe ist, eine Veloriksha.

In Lanka angekommen machte ich mich auf die Suche nach einem Tuktukfahrer, der das Kirancenter in Madhopur kennt. Die ersten zwei Fahrer waren sich nicht sicher und der Preis war zu hoch. Ich lief weiter. Beim dritten Fahrer hatte ich Erfolg. Als ich mich gesetzt hatte und es mir auf der Rückbank bequem gemacht hatte, donnerte er  los. Er schlug eine seltsame Richtung ein um zum Bypass zu gelangen. Ich dachte mir als Ausländer, er weiss sicher besser Bescheid als ich und kennt eine Abkürzung. Die Landstrasse war voller Schlaglöcher. Wenig Verkehr kam uns entgegen und die Häuser wurden immer rarer. Ich wies den Fahrer nochmal darauf hin zum Bypass, Pachaomarkt und Kirancenter zu fahren. Er nickte verständnisvoll und sagte „ ja ja Bypass“. Bis wir bei der Brücke ankamen hatte er zweimal  nachgefragt ob vielleicht jemand das Kirancenter kenne. Ich musste lachen und erklärte, dass ich den Weg von der Brücke an kenne. Wir hatten also die Brücke erreicht die über den Ganges  und Richtung Mugal Sarai führt. Jedoch hatten wir nicht den Bypass erreicht, welcher uns unter der Autobahn ähnliche Strasse durchführen würde. Ohne zu zögern fuhr der Fahrer auf die drei spurige Strasse. Als er am Strassenrand drei Leute entdeckte fragte er sie wo der Bypass sei. Es stellte sich heraus dass die Leute auch zum Pachaomarkt müssten. So fuhren wir mit voller Geschwindigkeit zu fünft auf der „ Autobahn“ Richtung Bypass.  Nach einer Weile erreichten wir eine Mautstelle. Eine Person in Uniform forderte uns mit fuchtelnden Händen auf seine Spur zu nehmen. Wir wurden langsamer und fädelten in der Spur ein. Vor uns war kein Auto zu sehen und der Durchgang war frei.  So erhöhte der Rikshafahrer das Tempo und wollte die Mautstelle passieren. Auf einmal bremste er abrupt, da vor uns eine Barriere niedergeschossen kam. Wir wurden nach vorne geschleudert und dank der Querverstrebung aufgefangen. Niemand hatte sich ernsthaft verletzt.
Mit schmerzendem Handgelenk sah ich wie die Strasse in der Ferne anstieg, ich wusste das dies die Brücke sein wird die über die Pachaomarkt Hauptstrasse führt. Wir verliessen die Autobahn und erreichten zehn Minuten später den Pachao Markt wo sich die drei anderen Passagiere verabschiedeten.